Aus „Die Diebe von Köln“ (Kisch-Preis 1983):

“Und dann bist du drin. Drin sein ist das höchste der Gefühle. „Wenn du drin bist“, sagt der Kölner Einbrecher Bruno B. , „dann is et jut.“

Es ist zwei Uhr nachts. Bruno, 31, und sein Freund Marcel, 22, sind in eine Kölner Gaststätte eingebrochen. Vom Hinterhof durchs Kellerfenster. Die letzten Augenblicke waren strapaziös.

Das Kellerfenster war durch eine Querstange gesichert. Sie loszubrechen ist an sich keine Kunst. Ein Wagenheber genügt. Marcel hat ihn mitgebracht. In einer braunen Plastiktasche. Sie enthält ausserdem ein Brecheisen, eine Taschenlampe, drei Schraubenzieher, ein Rettungshämmerchen aus der Straßenbahn (um Fenster einzuschlagen) sowie eine Rolle Klebeband (damit das Glas nicht so splittert). Aber als Bruno am Wagenheber zu drehen begann, hat Marcel fast die Nerven verloren. : „Pssst! maach nit esu ene Kraach!“ Ringsherum Häuser. Ringsherum Wohnungen. Die Stange gibt leicht nach. Aber wie das hallt durch den nächtlichen Hinterhof! Viel größere Angst als vor der Polizei haben Bruno und Marcel vor alten Mütterlein, die nachts schlaflos aus dem Fenster lehnen. „Esu en aal Omma“, klagt Bruno, „määt (macht) alles kapott.”

Und dann bist du drin. „Wenn du drin bist“, sagt Bruno, „dann hast du ein Gefühl der Entspannung, das ist, wie wenn du ...“ Er sucht nach einem Vergleich. „Das ist, wie wenn du auf der Arbeit Feierabend hast. Nur viel schöner.“

Und dann fängst du an zu „kucken“. Hinter der Theke zuerst. Hier ein Töpfchen, da ein Gläschen — unglaublich, wieviel Geld so töpfchenweise hinter einer Theke steht. Darauf trinken Bruno und Marcel einen Bacardi mit Cola. Und essen dazu ein Solei und ein paniertes Kotelett.

Und dann nimmst du dir einen Löffel. Der genügt, um die Musikbox aufzubrechen. Dann den Spielautomaten an der Wand. Dann den Blechkasten vom Sparverein. „Zum Schluß nimmst du den Schraubenzieher“, sagt Bruno, „un määst de Flipper op.“

Und dann fängst du an zu schätzen. Wieviel ist es diesmal? Zwei- bis dreitausend. Kommt alles in die braune Plastiktasche.

Aber ist der Aufbruch aus der geplünderten Wirtschaft nicht genauso beängstigend wie der Einbruch? Bruno schüttelt verständnislos den Kopf: „Wieso denn dat? Jetzt ist doch Stimmung dabei. Jetzt hast du doch dein Geld. Dein Geld gibst du nicht mehr her. Das ist doch wie...“ Mühselig sucht er nach einem Vergleich.

„Das ist wie Lohn! Deinen Lohn gibst du nicht wieder her. Da kann so viel Schmier kommen wie will.“

Das ist nicht Mord und Totschlag, das ist nicht „Chicago am Rhein“. Nicht die schweren Jungen sind in Köln so übermütig, sondern die leichten. »Spetzbove«

(Spitzbuben) wie Bruno und Marcel. Autos klauen sie und Motorräder. In Geschäfte und Gaststätten brechen sie ein. Und eh du dich versiehst, stehen sie in deiner Wohnung. Da holen sie doppelt so viel wie in einer Gaststätte. „Wohnungen“, sagt Bruno, „sind jetzt absolut das beste.“

Es ist ein schöner Sommerabend am Rhein. Bruno und Marcel gehen spazieren. Schlecken Lakritzen, pfeifen hinter den Mädchen her. Doch zu gleicher Zeit wandern ihre Augen ruhelos an den Häuserwänden hoch. „Auf die Vorhänge mußt du kucken“, sagt Bruno, „darauf kommt es an.“

An den Gardinen erkennt der gute Einbrecher mühelos, was in der Wohnung zu holen ist. In neun von zehn Fällen stimmt's. Da drüben zum Beispiel die Mozart-Gardinen mit dem gläsernen Familienwappen im Fenster. „Dat is en jut Wonnung“, lobt Bruno, „die mache mer deräk (sofort).“ Auch Senkrechtjalousien vom Innenarchitekten findet Bruno „janz jut“. Dagegen dort, das große Wohnzimmerfenster ohne Vorhänge, mit Blumen und mit Kinderspielzeug. „Dat es ene Lehrer. Oder en Wonnjemeinschaff. Dat bringt nix.“

Natürlich bringen es die Vorhänge nicht allein. Es muß auch eine belebte Straße sein. Am besten ein schöner Altbau mit nur einer Wohnung je Etage. Möglichst im obersten Stock. Damit nicht im kritischen Augenblick eine unberechenbare Omma die Treppe runterkommt.

So suchen sich Bruno und Marcel auf ihrem Spaziergang zwei bis drei Wohnungen aus. Gehen ein Stündchen oder zwei Billard spielen. Und dann ins Bett.

Ganz brav ins Bett. „Ich kann es nicht begreifen“, sagt Bruno, „daß Leute nachts schlaflos im Bett liegen aus lauter Angst vor Einbrechern. Nachts brichst du in eine Wirtschaft ein. Oder in ein Geschäft. Aber doch nicht in eine Wohnung. Da können auch zur Ferienzeit immer Leute sein.“ Nachts klingt ja jedes Geräusch zehnmal so laut. Jeder Fremde im Treppenhaus ist nachts verdächtig. Bruno schüttelt den Kopf: „Wohnungen machst du morgens zwischen neun und zwölf.“

Da ist alles anders als nachts in der Gaststätte. Viel rascher geht alles. Zuerst klingeln, dann telefonieren, um doppelt sicher zu sein, daß niemand da ist. Woanders klingeln und rauf ins Treppenhaus. Und dann nichts wie rein in die Wohnung.

Denn je komplizierter die Türschlösser werden, desto einfacher wird die Methode, sie zu knacken. Kein Dietrich mehr, keine Zange, meist auch kein Schraubenzieher. Mit einem einzigen schnellen, harten Fußtritt auf das Schloß sprengt Marcel die Tür auf. Bruno hält derweil den Knauf fest: „Damit die Tür nicht durch die ganze Wohnung fliegt.“

Das kracht. Aber es kracht zu dieser Tageszeit erstaunlich harmlos. Die Methode hat sich so bewährt, daß man jetzt auf kölsch bei Wohnungen gar nicht mehr »stele jon« sagt, sondern »tritte jon« (treten gehen).

Zuerst den Schmuck aus dem Schrank im Schlafzimmer. „Wäsche raus, zackzack, ah, da liegt schon dat Kassettchen.“ Dann in der Küche das Bargeld. Dann im Wohnzimmer die Briefmarken- und die Münzsammlung. Und dann nichts wie raus. Raus sein ist das höchste der Gefühle. „Wenn du wieder im Auto bist“, sagt Bruno, „dann is et jut.“

Weiterlesen in „Lob der Dummheit, 15 Reportagen mit Sinn, Band 3 der Gesammelten Werke, LIT Verlag Münster 2004.