Le style c´est l´homme

In diesem zeitlosen Sinn hier zwei zeitlose Mini-Stil- und Charakter-Proben.

Die rote Mütze von Tschungking.

In einer Vorstadt von Tschungking, da wo China arm ist und grau, kam mir in dem schäbigen Gewimmel auf der Strasse mit einem Mal ein Mensch entgegen, der anders war. Es war ein altes Fräulein. Schmächtig war sie wie ein Kind, hinfällig schon, ganz faltig und ganz krumm. Doch das war es nicht, womit sie meinen Blick auf sich zog.

Sie trug eine rote Mütze und, am Arm, eine rote Tasche. Beides ganz abgegriffen, so alt fast wie das Fräulein selbst. Doch beides, die rote Mütze und die rote Tasche, stand ihr fabelhaft. Und wie sie nun an mir vorbeiging, mit ihrer roten Mütze und mit ihrer roten Tasche, schenkte sie mir einen Blick voll Schüchernheit und zugleich voller Stolz.

Es wird bei uns so viel von Seele geredet, von inneren Werten und von Selbstverwirklichung. Glaubt das nicht. Was zählt im Leben, ist die Erscheinung. Du magst das ärmste alte Fräulein sein in einer grauen Vorstadt von Tschungking, solange du auf deine Erscheinung stolz bist, solange bist du eine Königin.


Huldigung an Abraham a Sancta Clara.

Wenn Abraham a Sancta Clara vor dem kaiserlichen Hof in Wien predigte, dann stieg er auf die Kanzel, schlug die Bibel auf und legte den Finger auf eine beliebige Stelle. Über diesen Vers, den er vorher nicht kannte, predigte Abraham a Sancta Clara aus dem Stegreif.

Er predigte so spannend, dass er Neider bekam. Abraham a Sancta Clara predige nicht aus dem Stegreif, sagten sie, er kenne seinen Bibelvers im voraus. Um ihn vor dem kaiserlichen Hofstaat zu blamieren, versteckten sie eines Sonntags die Bibel.

Wie gewohnt stieg Abraham a Sancta Clara auf die Kanzel. „Hier müsste meine Bibel liegen“, rief er verblüfft. „Doch hier ist nichts! --- Aus nichts hat Gott die Welt erschaffen!“ Eine volle Stunde lang predigte Abraham a Sancta Clara aus dem Stegreif über nichts. Und die Kaiserin hing an seinem Munde. Noch nie, sagte Kaiser Leopold danach, sei er so spannend unterhalten worden.

Schlechte Prediger sind wie schlechte Journalisten. Jeder Satz aus ihrem Munde strotzt vor Wichtigkeit, jedes ihrer Worte wiegt schwer wie Blei. Gott ist anders. Aus nichts hat er die Welt erschaffen, im leichten Spiel der Phantasie. Und das Spannendste, was je zu hören war in einer deutschen Kirche, war eine göttlich freie Predigt über nichts.