Wie mit Schandtaten umgehen?

Einmal habe ich Kölns grössten Komödianten, den alten Willy Millowitsch, in seinem Theater erlebt. Nach seiner Gewohnheit unterbrach er sich selbst mitten in der Komödie mit einer rheinischen Lebensweisheit. Und er hob seine Stimme: „(forte) In jedem Leben kommt einmal die Stunde der Wahrheit. (fortissimo) Und dann heisst´s lügen, lügen, lügen!“ Obwohl alle verstanden hatten, was er meinte, erhob sich das gesamte Publikum, Männer und Frauen, zur gemeinsamen rauschenden Ovation.

Letzte Nacht hatte ich einen entsetzlichen Albtraum. Ich sah den alten Millowitsch auf der alten, sonst kaum noch genutzten Kanzel des Kölner Doms. Er las das jüngste kirchliche Missbrauchs-Geständnis, das evangelische diesmal, vor. Nach seiner Gewohnheit unterbrach er sich selbst mit einer rheinischen Lebensweisheit. Und er hob seine Stimme: (forte)„In jeder Kirche kommt einmal die Stunde der Wahrheit. (fortissimo) Und dann heisst´s vertuschen, vertuschen, vertuschen!“

In vereinter moralischer Empörung stürzte die ganze Kirche, Männer wie Frauen, zur Kanzel. Sie rissen Willy Millowitsch herunter, schleiften ihn vor den Dom und verbrannten ihn dort unter furchtbarem Hohngelächter. 

Da wachte ich auf, gebadet in katholischen und in evangelischen Schweiss.

 

Katholische Kirche und Künstliche Intelligenz

Manche haben sich gewundert, warum wir auf dem Synodalen Weg unsere sexuellen  Sorgen erschöpfend diskutiert haben, ein anderes, viel wichtigeres Problem aber kaum anzuschneiden wagten: Wie stehen wir als progressive Katholiken zu den atemberaubenden Fortschritten der Künstlichen Intelligenz (KI)?

Für dieses sprachlose Versagen gibt es zwei theologische Erklärungen. Die positive, die interpretatio benigna, weist zu Recht darauf hin, dass uns in Künstlicher Intelligenz niemand etwas vorzumachen braucht. Seit ältester Zeit schon  hatte unser katholisches Denken, vor allem die Dogmatik, einen auffälligen Zug ins Künstliche. Da ist jedes katholische Studentlein schon im römischen Proseminar jedem noch so berühmten KI- oder besser AI-Professor aus Cambridge (Massachusetts) von vornherein um Jahrhunderte voraus.

Die negative, die interpretatio maligna, erkennt dagegen einen ganz  urtümlichen Angstreflex. Seit das Handelsblatt gemeldet hat, dass KI in den grossen deutschen Versicherungen zunehmend „repetitive Tätigkeiten“ übernimmt und die entsprechenden repetitiv geprägten Arbeitsplätze ersatzlos wegfallen, befällt manche noch so talentierte Pastoralassistentin und auch manchen etwas weniger talentierten Pastoralpastor eine nicht unbedingt pastorale Existenzangst.

Besteht nicht jede Religion, vor allem aber die unsere, im Kern aus „repetitiven Tätigkeiten“? Könnte also nicht Künstliche Intelligenz am Altar oder im Beichtstuhl unsere immerzu gleichen Riten besser zelebrieren als unser oft schon an Alzheimer leidender und somit repetitionsunfähig gewordener Klerus?

Hier allerdings gilt es auch gleich einen Irrtum auszuräumen. KI, die solche repetitiven Tätigkeiten übernimmt, gilt in Cambridge (Massachusetts) nur als die „schwache KI/AI“. Viel interessanter für die Katholische Kirche ist jene „starke Künstliche Intelligenz“, die sich, wie aus Wikipedia hervorgeht, gerade jetzt  in rasanter Entwicklung befindet. Damit gemeint ist Künstliche Intelligenz, die nicht nur „repetitiveTätigkeiten“ noch repetitiver gestaltet, sondern der auch etwas gelingt, was bisher menschlicher Intelligenz vorbehalten war: „Starke KI/AI“ ist nicht repetitiv, sondern schöpferisch. Mindestens so schöpferisch, wenn nicht schöpferischer als menschliche Intelligenz.

Wer denkt da nicht gleich an Papst Paul VI?  Bei seiner berühmten Liturgiereform hat menschliche Intelligenz so vieles falschgemacht, dass es naheliegt, die nächste Liturgie-Reform lieber den schöpferischen Fähigkeiten Künstlicher Intelligenz anzuvertrauen. Aber da sind wir immer noch bei den „repetitiven Tätigkeiten“.

Was ich eben sagte, ist jedoch schlichtweg falsch: dass Religion im Kern „repetitiv“ sei. Im Gegenteil: innerster Kern der Religion ist, wie ich bei Hans Urs von Balthasar gelesen habe, etwas zutiefst Einmaliges, Unwiederholbares, ja Revolutionäres: Unsere Religion lebt von ihren Heiligen. Wo aber sind sie, die echten Heiligen unserer Zeit? Hier liegt wohl die wichtigste katholische Aufgabe Künstlicher Intelligenz: Mangels heiliger Menschen künstliche Heilige zu erschaffen. Leider aber lebt auch die Religion nicht von der Heiligkeit allein. Wie wär´s auf die Dauer mit der schöpferischen Herstellung von künstlichen Kirchensteuer-Zahlern?

Derweil hoffen wir progressiven Katholik*innen unentwegt auf einen neuen Erzbischof von Köln. Vielleicht bekommen wir ihn deshalb nicht, weil man im Vatikan einfach nicht mehr weiss, wer das überhaupt werden könnte. Ob es noch irgendeinen gibt, der selber Erzbischof von Köln werden will? Kein normaler Mensch, scheint mir jedenfalls, hat noch Lust, sich  auf einen solchen spirituellen Schleuderstuhl zu setzen. Ein künstlicher Erzbischof von Köln, wäre das nicht eine starke Schöpfung „starker KI/AI“?

In Rom steht gottseidank alles noch nicht so schlimm wie in Köln. Da gibt es noch genügend Kardinäle, die sich zutrauen, mit Gottes Hilfe nächstens Papst zu werden. Die Frage ist nur, wie sich Gottes Wille gegen die Intrigen allzu menschlicher Intelligenz auf dem bevorstehenden Konklave durchsetzen kann. Wäre es da nicht besonders fortschrittlich, nächstens gar kein Konklave mehr abzuhalten, sondern die starke Wahl eines starken neuen Papstes vertrauensvoll „starker KI/AI“ zu überlassen?

 

 

 

 

Zölibat und Klimakatastrophe.

Dass der Zölibat an vielem schuld ist, wissen wir alle. Trotzdem hat niemand bisher behauptet, dass der Zölibat auch schuld sei an der Klimakatastrophe. Vielleicht ist das sogar das einzige, woran er sicher nicht schuld ist. Dass dennoch ein vielleicht untergründiger Zusammenhang zwischen Klimakatastrophe und Zölibat sei, ahnen manche. Warum ist dieses Thema trotzdem auf keiner Sitzung des Synodalen Wegs zur Sprache gekommen?

Ich will euch sagen, woran das liegt. Nämlich am Niedergang der katholischen Bildung. Zu den Selbstverständlichkeiten katholischer Bildung gehörte es zu meiner Zeit (Jahrgang 1937), Amélineau zu lesen. Emile Amélineau, den grossen französischen Ägyptologen. Ihm ist als erstem aufgefallen, dass die Keuschheit im Urchristentum noch keine besondere Rolle gespielt hat. Zur höchsten  (und schwierigsten) aller Tugenden ist sie erst geworden, als sich das Christentum nach Ägypten verlagerte. Dort erst konnte es geschehen, dass ein so genialer christlicher Theologe wie Origenes kaum noch etwas anderes im Kopf hatte als die Keuschheit. Als er dennoch einer seiner sieben Sekretärinnen („Schönschreiberinnen“) verfiel, wusste er sich nur noch damit zu helfen, dass er zum Messer griff. Und er hieb sich jenes Glied, mit dem er gesündigt hatte, ab.

Das Besondere nun an Ägypten, fand Amélineau heraus, sei das doch schon ausgeprägt afrikanische Klima. Ihm persönlich, so gibt er freimütig zu, sei die Keuschheit  in Ägypten schwergefallen. Und je weiter südwärts er bei seinen Forschungen dem Nil entlang gereist sei, desto schwerer. Von einer bestimmten Hitze an sei Keuschheit fast unmöglich. Das heisst aber nicht, dass sie in Ägypten aus der christlichen Moral verschwunden sei. Im Gegenteil. Je weniger der normale ägyptische Christ zur Keuschheit fähig gewesen sei, desto grösser das Ansehen jener wenigen, die als Wüstenväter draussen in der sengenden Einsamkeit Keuschheit nicht nur gelobten, sondern auch tatsächlich lebten. So wurden die Kämpfe des heiligen Antonius gegen die Dämonen der Unkeuschheit bis ins Mittelalter zur berühmtesten christlichen Heiligengeschichte. So stieg im christlichen Ägypten, erst dort, die sexuelle Entsagung auf zu einer mit dem Martyrium vergleichbaren Heldentat, von allen, die dazu so wenig fähig waren wie zum Martyrium, begeistert bestaunt und gefeiert.

Da fällt denn auf, dass heute die Verachtung der Keuschheit und die Forderung nach Abschaffung des Zölibats aus lauter klimatisch unterkühlten Zonen kommt. Aus Ländern, in denen auch der ganz gewöhnliche Alltag  so rationalisiert und unterkühlt verläuft, dass etwas derart Irrationales wie die sexuelle Aktivität bis auf geringe, auffällig marginale Reste geschwunden ist. Nicht also weil ihn der sexuelle Drang besonders drängt, verehrt der normale Mensch bei uns den  Zölibat nicht mehr. Das Gegenteil ist der Fall. Weil er selber so wenig sexuell aktiv ist, erkennt er im Zölibat nicht mehr die titanische Spitzenleistung, als die er einst in der heissen Wüste Ägyptens galt.

Theologisch sind wir jetzt mitten drin in der Klimakatastrophe. Es könnte ja sein, dass die katastrophalen Temperaturen dieses Sommers nur Vorboten sind für eine Erhitzung, die uns allen dauerhaft Lebensumstände wie im Alten Ägypten bescheren wird. Vielleicht sollten wir uns auf unseren Synodalen Wegen Gedanken darüber machen, ob nicht morgen schon mit dem klimakatastrophenbedingten Wiederaufleben der allgemeinen sexuellen Aktivität auch die Bewunderung der Keuschheit als heroischer Leistung einer winzigen Elite bei uns erneut ägyptische Ausmasse annehmen könnte. Wie denn geschrieben steht im  Evangelium nach Matthäus 22, 14: „Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“

Erleuchtung in Chalons-sur-Marne

Châlons-sur-Marne im Jahr 1953. Nichts ist mir in Erinnerung als der Eingang zur Kaserne der „Gendarmerie de la Marne“. Um junge Ausländer anzulocken, hing dort ein grosses Plakat: „Viens dans la Légion Etrangère. Tu deviendras un chef! - Komm in die Fremdenlegion. Aus dir wird ein Chef!“

 Ich war ein halbwüchsiger Schweizer, den Kopf schon voll von gymnasialer Bildung. An die Fremdenlegion hatte ich nie gedacht, nach Châlons-sur-Marne wollte ich überhaupt nicht. Ins Louvre wollte ich, in das Museum aller Museen nach Paris. Mein knabenhafter Irrtum war, dass ich mir das Reisen per Anhalter in Frankreich zu einfach vorgestellt hatte. Von Strassburg kam ich unendlich mühsam bis nach Châlons-sur-Marne (heute Châlons-en-Champagne). Von dort war gar kein Fortkommen mehr. Gezwungenermassen schaute ich mich in Châlons um, einer kleinen Stadt so grau und trist wie damals fast alle französischen Städte, Paris nicht ausgenommen,

 Doch dann die Erleuchtung fürs ganze Leben: die „Gendarmerie de la Marne“! Es war nicht nur der verheissungsvolle Text am Eingang zur Kaserne „Aus dir wird ein Chef!“ Packender war das Bild. Über dem Text nämlich prangte der Kopf eines offenbar höchst erfolgreichen Chefs: Aus den Augen ein Blick von gnadenloser Uneinsichtigkeit, darunter ein so herrisch vorgerecktes Kinn, wie wir  es  damals alle noch von Mussolini in Erinnerung hatten.

 Respektvoll  knapp hatte mein Vater das Wort „Chef“, „Chefsache“ gar, stets ausgesprochen,. Jetzt sah ich am Eingang zur Gendarmerie, unvergesslich plakatiert, dem Inbegriff eines Chefs ins Auge. Und wie  ich das herrisch vorgereckte Kinn anstarrte, durchfuhr mich wie ein Blitz die göttliche Erleuchtung: Alles will ich im Leben werden, alles nur das nicht: Auf gar keinen Fall wird aus mir ein Chef.

 Lasset mich beten!

 Barmherziger Gott, vor der Gendarmerie-Kaserne von Châlons-sur-Marne hat du mich einst in törichter Jugend dagegen gefeit, jemals ein Chef werden zu wollen. Bewahre mich jetzt in der Torheit des Alters davor, stolz zu sein auf das, was ich sonst alles geworden bin. Denn dies ist die göttliche Erleuchtung, die du mir vor jener französischen Kaserne geschenkt hast: Es wird am Jüngsten Tagt nicht darauf ankommen, was einer im Leben erreicht hat. Für Gottes Richtspruch zählt allein, was einer nicht geworden ist.

Biologie der Letzten Generation

Schwere Sorgen machen wir uns alle über den abgrundtiefen Riss der sich in unserer  grünen Linken aufgetan hat. Warum klebt sich unsere Annalena Baerbock nicht für die Umwelt mit auf die Autobahn in Berlin? Warum anerkennt Luisa Neubauer nicht, wieviel Annalena mit Kompromissen in Brüssel und in NewYork für unsere Umwelt herausholt? Und warum haben die doch sonst so woken deutschen Qualitäts-Medien kein Verständnis für die Letzte Generation, wenn sie auf stressigen Autobahnen für Ruhepausen sorgt und verschlafene Museen mit linker Kreativität weckt?

Wahrlich ich sage euch: So schwere Sorgen macht man sich mangels Bildung. In diesem Fall sogar mangels deutscher Bildung. Schon in der tiefsten Kaiserzeit, im Frühjahr 1910, hat ein Klassiker der deutschen Soziologie eben diese unsere anscheinend neueste Sorge erhellend zu Ende gedacht: Robert Michels. „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie“ ist der harmlose Titel seines Buches, das  dennoch eine solche Sensation auslöste, dass es alsbald in alle Sprachen übersetzt wurde. Auf englisch wird es noch heute in Amerika gelesen. Von uns auf deutsch nicht mehr. Es ist ja nur wilhelminische deutsche Bildung.

Was aber ist so zeitlos sensationell an Michels? Er hat die Risse studiert, die damals durch Europas Linke gingen. Und er ist dabei auf ein Gesetz der Biologie gestossen, ein Ehernes biologisches Gesetz,das sich damals nicht leugnen liess und sich auch heute nicht weggendern lässt: Biologisch unabwendbar altert jeder Mensch, sogar ein linker altert. Und ist er einmal alt, so denkt und handelt er anders als in jungen Jahren.

Der Junge ist erfüllt von Idealismus. Darum will er die Realität ändern. Sie entspricht ja keineswegs dem linken Ideal. Der Alte weiss, dass Macht mehr bewirkt als Idealismus. Wer auch nur ein bisschen etwas ändern will, braucht Macht. Das Grundgesetz der Machtausübung aber ist der Kompromiss, ganz oben aussgehandelt im kleinsten Kreis. Zum Beispiel zwischen unser aller Annalena, unser aller Robert, unser aller Christian und unser aller Olaf. Als habe er persönlich in Berlin im Stau der Letzten Generation gesessen, schliesst Michels anno 1910: „Und dieses grausamen Spieles zwischen dem unheilbaren Idealismus der Jungen und der unheilbaren Herschsucht der Alten ist kein Ende. Stets neue Wellen stossen gegen die stets neue Brandung. Das ist die tiefinnerste Signatur der Parteigeschichte.“

Bekehrt euch zum Heidentum!

Keiner wird bestreiten, dass zum Wichtigsten in der Religion die Bereitschaft gehört, sich zu bekehren. Man braucht das nicht so häufig zu tun wie Henri Quatre, König Heinrich IV von Frankreich, der sich alle zwei, drei Jahre feierlich bekehrt hat. „Abjuration“ nannte man das damals. Das eine Mal hat er dem blinden Papsttum abgeschworen, das andere Mal dem reinen Evangelium aus Genf. Segen hat es ihm nicht gebracht. Insgesamt achtzehn Attentate sind gegen Henri Quatre verübt worden. Und alle Attentäter waren sich darin einig, dass der König sich nicht richtig, auf jeden Fall nicht auf die richtige Art bekehrt hatte.

Ich bin so steinalt, dass ich die bisher letzte Welle der Bekehrung in der katholischen Kirche noch persönlich erlebt habe. Ein belgischer Chorherr war es, der in die Konzilsdebatten das Schlagwort geworfen hat von der „conversion au monde“. „Bekehrung zur Welt“. Alle haben wir mit einem Mal daran geglaubt. Das ist jetzt aber longlong ago, long ago. Nach gut achtzig Jahren ist es hohe Zeit für eine ganz neue Welle der Bekehrung.

Diese Erleuchtung verdanke ich dem Kölner „Domradio“. Auf seiner Internetseite hat es dieser Tage ein dramatisches Interview mit Marco Politi geführt. Der grosse Vatikan-Experte beschreibt eine derartige Vergiftung der Stimmung unter Katholiken, ein derartiges Anwachsen der innerkirchlichen Feindschaft, dass es nicht übertrieben sei, von einem veritablen „Bürgerkrieg“ zu sprechen. Dabei kann so ein Italiener doch – germanicum est, non legitur - kaum etwas wissen von dem Gift und der Galle, mit der auf dem Synodalen Weg der Deutschen die modernistische Mehrheit und die traditionalistische Sperrminderheit sich gegenseitig bespucken. Woher die zutiefst unchristliche Feindschaft unter Schwestern und Brüdern?

Das schönste an einer Bekehrung ist die Erfrischung der Seele. Achtzig Jahre nach der letzten Bekehrung sind die katholischen Seelen, die linken wie die rechten, ganz vergrämt, vertrocknet, verkalkt, versauert  und vergiftet. Was wir alle brauchen, ist eine neue Bekehrung. Aber nicht  die Bekehrung, zu welcher der Prophet Jeremias aufgerufen hat: „Jerusalem, Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott!“

Dem Propheten Jeremias zu widersprechen, fällt schwer. Was uns not  tut, ist aber nicht die Bekehrung zum biblischen Gott, sondern zum Gegenteil: zum antiken Heidentum.

Ob links, ob rechts, der ganze Katholizismus ist jener unheilbaren Rechthaberei verfallen, die immer droht, wenn eine Bekehrung zu lange her ist. Keiner glaubt mehr, jeder weiss, was er weiss, und weiss es längst auswendig. Kein jüdischer Prophet lehrt uns die Bekehrung von dieser rechthaberischen Verkalkung des Glaubens. Das Wort, das unsere Seelen, die modernistischen und die traditionalistischen, alle auf einen Schlag heilen könnte, stammt vom grössten aller Heiden: „Ich weiss, dass ich nichts weiss“, hat Sokrates gesagt.

In Wirklichkeit nämlich weiss keiner von uns, wie es weitergehen soll mit der katholischen Kirche. Ich jedenfalls bekenne, dass ich keine Ahnung habe, wie wir aus dem katholischen Debakel herauskommen. Ist Nichtwissen eine Schande? Nein, Nichtwissen ist Weisheit. Nicht Weisheit der Juden, nicht Weisheit der Christen, sondern Weisheit der Heiden.

Bekehrt euch zum Heidentum! Bekehrt euch zur Weisheit der Heiden: „Ich weiss, dass ich nichts weiss.“

Weihnachten 1944

„Achtung“, sagte der Vater, „seid still; gleich drücke ich  auf den roten Knopf.“ Das war der Höhepunkt des Weihnachtsfestes 1944. Und wenn Vollkommenheit dadurch definiert ist, dass nichts fehlt, gar nichts, so war es ein vollkommenes Weihnachtsfest.

 Da war eine Dreizimmerwohnung in Zürich; eine Stube mit Zentralheizung und Parkett; Buffet, Sofa, Tisch und Stühle in Nussbaumfurnier; die Mutter mit der frischen Dauerwelle, der Vater frisch gescheitelt und den Scheitel frisch geölt; in der Ecke der Christbaum  mit der hohen silbernen Spitze  vom Dachboden, wie jedes Jahr, behutsam aus dem Seidenpapier gewickelt. Doch das alles war noch nicht die Vollkommenheit. Vollkommen war ein Weihnachtsfest 1944  erst mit einer elektrischen Modelleisenbahn.

„Es ist eine Trix Express“, sagte der Vater, „Sie kommt aus Nürnberg. Dein Taufpate und ich haben sie zusammen in der Bahnhofstrasse gekauft. Spur 00. Die haben die Deutschen extra entwickelt, damit sie auf so einen kleinen Stubentisch passt. Achtung, ich drücke jetzt auf den Knopf!“

Und dann das Unfassbare: Die wunderschöne kleine Dampflokomotive aus Nürnberg, an der selbst die Leitern in Gusseisen putzig nachgeformt waren, sie fuhr nicht etwa in die falsche Richtung los, nicht etwa zu langsam oder zu schnell. Nein, sie fuhr überhaupt nicht. Das deutsche Spielzeug tat keinen Wank.

Prüfend nahm der Vater die Lok in die Hand. „Nürnberg soll bombardiert worden sein“, sagte die Mutter besorgt. Auch die Gleise aus schwarzglänzendem Kunstharz sahen wir sorgfältig nach. Nirgendwo war ein Schaden zu erkennen. Doch die Lok stand unverwandt still. „Vielleicht liegt es am Trafo“, sagte der Vater, „der Trafo ist schweizerisch.“ 

Warum war der Trafo schweizerisch? „Wegen dem totalen Krieg“, erklärte der Vater. „Die Deutschen liefern keine Trafos mehr.“ Gespannt hielten wir  die Ohren an den schweizerischen Trafo. Er summte. An ihm  also lag es  nicht.

Plötzlich fiel mein Blick auf die Buchsen am Trafo. Über der einen war ein Plus-Zeichen, über der anderen ein Minus-Zeichen. „Papi“, sagte ich ganz leise, „es ist alles in Ordnung. Du hast nur beim Anschliessen den positiven mit dem negativen Pol verwechselt. 

Und wie nun die Stirnlampen der Lokomotive märchenhaft aufleuchteten und der deutsche Zug  losfuhr, lustig im Oval auf dem  nussbaumfurnierten Stubentisch, da  war es, als ob alle Engel von Nürnberg durch die Dreizimmerwohnung in Zürich jubilierten. Das Weihnachtsfest 1944 war vollkommen. Das ganze Leben, ich wusste es, würde vollkommen sein. Ich durfte nur den positiven und den negativen Pol niemals verwechseln.

Christ*innen gegen die Weihnachtshysterie

Als ich jung war und somit viele Freunde hatte, war ich sogar befreundet mit einem evangelischen Theologen in Hannover. Befremdet hat mich an ihm nur eines: Zur klassischen Urlaubszeit, im hohen Sommer, wenn es uns alle an den Strand zog oder ins Hochgebirge, blieb er unverdrossen an seinem protestantischen Schreibtisch in Hannover sitzen. Dann aber, wenn wir andern alles abarbeiteten, was übers Jahr liegengeblieben war, im Dezember, nahm er als einziger von uns Urlaub. Ich hielt das zuerst für eine Marotte. Als er dann aber, Jahr für Jahr, immer wieder seinen Urlaub im Dezember nahm, konnte ich mir die Frage nicht mehr verkneifen. „Dezember“, gab er zur Antwort, „ist ein Monat wie kein anderer. Die Blätter sind schon alle gefallen. Aber Schnee fällt noch nicht. Igel, Bär und Murmeltier liegen im verdienten Winterschlaf. Die Schwalben sind abgeflogen in den Tschad. Die ganze Natur, die Schöpfung ruht. Und wenn die Schöpfung ruht, dann ruhe ich als Christ mit ihr.“ Danach ein Geständnis: Selbst den Altardienst überlasse er an Weihnachten weniger naturverbundenen Kolleg*innen. „Vom 1. Dezember bis Silvester tue ich ganz einfach nichts.“

Das war vor einem halben Jahrhundert, als noch niemand das Wörtlein „öko“ kannte. Und jetzt? Dezember hat noch kaum begonnen, da fängt sie schon an, die neudeutsche Weihnachtshysterie. In allen Werkstätten der verzweifelte Versuch, all die fehlenden Ersatzteile vor dem Fest noch aufzutreiben. In allen Büros der sinnlose Versuch, doch noch alles zu erledigen, was seit Januar vertrödelt worden war. Nicht nur auf auf Autobahnen, sondern jetzt auch in den Innenstädten lebensgefährliche Drängelei und Schlängelei. Selbst die Hausfrauen, sonst so besonnen, wollen unbedingt bei Ebay und Amazon noch alles  bestellen, was sie sinnvollerweise das ganze Jahr über nicht bestellt haben. Schlimmer: das alles muss noch vor Weihnachten gefahren und geliefert werden. Ein ganzes Volk, das die christliche Weihnachtshoffnung  – „O du Fröhliche“ - verloren hat, verfällt jetzt zum Fest einer freudlosen neuheidnischen Endzeit-Hysterie.

Und wir Christ*innen? Die evangelische Kirche, sie allein, tut etwas dagegen. Mit der Drosselung ihrer Dienstfahrzeuge auf 100 km/h hält sie den hysterisch entfesselten Verkehr auf den Autobahnen mutig auf. Mit 80km/h blockiert sie die Landstrassen.  Dem mit Klebstoff bewaffneten Arm der evangelischen Kirche gelingt es sogar, ganze Flughäfen ruhigzustellen. Ein paar Stunden jedenfalls.

Aber reicht das? Ich denke an die prophetische Tat meines protestantischen Jugendfreundes in Hannover. Öko war das vor der Zeit. Den ganzen Dezember über nichts tun! Dabei hätte die evangelische Kirche doch die Möglichkeit, alle ihre 240.000 Mitarbeiter*innen im Dezember in den Zwangsurlaub zu schicken.   Viel sinnloser religiöser Betrieb  fände so nicht statt. Ganz viel Energie – spirituelle und fossile Energie - würde so gespart. Um unserem russischen Feind zuleide noch mehr Energie zu sparen, wäre es leicht  möglich, auch die besonders energieintensiven evangelischen Weihnachtsgottesdienste jetzt schon zu stornieren.

Nur wenigen würde etwas fehlen.

Energie sparen mit dem heiligen Antonius.

„Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung“, meint Winfried Kretschmar und rät dem ganzen Volk der Deutschen, sich im kommenden Winter die Dusche zu sparen. Aber muss es denn auch nur ein Waschlappen sein? Liebe Christinnen und Christen! Es geht auch ohne Waschlappen. Im Jahr 357 berichtet der heilige Athanasius von Alexandrien:

Als er den heiligen Antonius in seiner Einsiedelei am Berg Galala das letzte Mal besuchte, seien ihm an dem berühmten Einsiedler zwei Dinge aufgefallen. Die Zähne und die Füsse. Mit 105 Jahren habe Antonius noch alle Zähne  gehabt, nur die Zahnhälse seien ein bisschen sichtbarer gewesen als in jüngeren Jahren. Dabei hat doch Antonius sein Leben lang täglich nur von einem Bissen Fladenbrot und zwei oder drei Oliven gelebt.

Einen Asketen wie den heiligen Antonius, das ist sicher, hätte der moskowitische Kriegsverbrecher nicht mit Gas  erpressen können. Umso mehr als Fladenbrot ohne Gas gebacken werden kann und danach sechs Monate essbar bleibt. Auch wenn so ein Fladen den nächsten Winter über ein bisschen hart werden sollte.  Was aber wahrscheinlich für unsere Zähne mindestens so gut wäre wie für die Zähne des heiligen Antonius.

Im Sinne von Winfried Kretschmar empfehle ich jedem von euch, zur Befreiung  Deutschlands vom Joch der moskowitischen Energie wenigstens einen ganz kleinen persönlichen Beitrag zu leisten und den kommenden  Winter über, dem heiligen Antonius nachfolgend, täglich nur noch einen Bissen Fladenbrot mit zwei, drei Oliven zu essen. Eins brauche ich gar nicht besonders zu erwähnen: dass der heilige Antonius seine Einsiedelei am Berg Galala den ganzen Winter über bewusst nicht beheizt hat. Schon gar nicht mit Gas. Und das, obwohl ihr alle wisst, wie klirrend kalt die Nächte in den ägyptischen Wüstenbergen sind.

Athanasius von Alexandrien fährt fort: Noch mehr als die Zähne seien ihm die Füsse des 105jährigen Heiligen aufgefallen. Vor denen aber habe ihm, bei aller Verehrung für Antonius, regelrecht geekelt. Sei diesen Füssen doch anzusehen gewesen, dass der Heilige sie „ein Leben lang nicht ein einziges Mal gewaschen“ habe.

Liebe Christinnen und Christen, lasst es euch gesagt sein: Wer wirklich sein Teil zum Sieg der Freien Welt über den Kriegsverbrecher in Moskau beitragen will, der braucht dafür nicht einmal einen Waschlappen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ganz ohne seine Füsse zu waschen, kann jeder von euch sogar ein noch viel grösserer  Heiliger werden als Winfried Kretschmar mit seinem Waschlappen.

Ein Knabe und ein Widerstandskämpfer

Viel Gutes haben Söhne über ihre Väter meist nicht zu berichten. So auch nicht jener deutsche Verwandte über seinen Vater, meinen Onkel. Doch jüngst, bei einem Treffen in Schaffhausen, schränkte er sein schlechtes Urteil ein: „Wie der im letzten Kriegsjahr in unserer kleinen schwäbischen Stadt den Widerstand gegen die Nazis aufgebaut hat, das muss ich ihm hoch anrechnen.“

Er wollte weiterreden, doch ich hatte mich abgewandt. So überwältigt war ich von meiner eigenen Erinnerung. Nicht an 1944 oder 1945, sondern an 1948.

 Nach der langen Trennung durch die Kriegsjahre hatte meine Mutter ihre Verwandten in Süddeutschland wieder besuchen wollen. Doch die französischen Besatzungsbehörden verweigerten der Schweizerin das Visum. Mir dagegen, dem kleinen elfjährigen Buben, erteilten sie es. Es wurde das grosse Abenteuer meiner an Abenteuern sonst nicht sehr reichen schweizerischen Kindheit: eine Fahrt ganz allein hinaus ins besiegte, durchs kaputte Deutschland.

 Menschenleer der Bahnhof in Lindau. Doch brauchte ich niemanden nach meinem Zug zu fragen. Einsam stand ein einziges Züglein da, vorn ein Rangierlokomotive, dahinter, aus besseren Zeiten, ein paar verlotterte Waggons. Ich stieg ein. So langsam ging es voran, dass ich Lust hatte, abzuspringen und neben dem Zug herzurennen. Noch dreimal musste ich umsteigen. Jedesmal eine andere Rangierlok vor ein paar anderen verlotterten Waggons. Links vom Gleis ein graues, abgewirtschaftetes Dorf nach dem andern, rechts vom Gleis die öden Stümpfe eines weiten Waldes, den die Sieger abgeholzt und abtransportiert hatten. Links und rechts vom Gleis alles so heruntergekommen, dass mir in meinem schweizerischen Kinderkopf ein Gedanke kam: „Bin ich noch in Deutschland? Oder ist das schon die Ukraine?“ Dabei wusste ich nichts über die Ukraine. Jetzt aber begann ich, mir die Ukraine vorzustellen.

 Als ich endlich ankam, war ich froh, dass mein Onkel – eben jener um den örtlichen Widerstand gegen die Nazis hochverdiente - mich am Bahnhof erwartete. Er war auf einem Motorrad von BMW vorgefahren und lud mich ein, hinter ihm Platz zu nehmen. Noch erinnere ich mich an alle Detail: Es war ein für mein knabenhaftes Gesäss viel zu breiter Gummisitz. Dann schickte er sich an, Gas zu geben. Da, im letzten Augenblick, war es, als wolle er mir noch etwas Wichtiges sagen. Er drehte sich um, sah mir in die Augen und sagte so unmissverständlich klar, dass es sich mir unvergesslich eingeprägt hat:

 „Damit du´s weisst, wir sind hier für die Braunen.“

Der Zander-Plan für einen viel grösseren und schöneren Katholikentag

Mein Lieblings-Sender, das Kölner Domradio, sonst so lustig, ist tieftraurig. Zu einem erschreckenden Bild vom fast leeren Stuttgarter Schlossplatz fragt das Domradio:

 „Künftige Treffen schmaler?

27.000 Teilnehmende zählt der Deutsche Katholikentag, deutlich weniger als früher. Zuletzt vor vier Jahren in Münster waren es insgesamt rund 80.000.“ Das Domradio fährt fort: „Nach Überzeugung des Erfurter Bischofs Ulrich Neymeyr muss der Katholikentag "schmaler werden, damit er besser wird".“

 Noch schmaler? Ich gehöre zu jener Generation von alten weissen katholischen Männern, denen es schwer fällt,  einem Bischof zu widersprechen. Übrigens hängt der Schwund des Publikums am Stuttgarter Katholikentag damit zusammen, dass die meisten alten weissen katholischen Männer diesmal nicht mehr kommen konnten. Aus einem überzeugenden Grund: Sie sind tot.

Im Unterschied zu den meisten alten weissen katholischen Männern bin ich noch am Leben. Doch so viel Überwindung es mich kosten mag, wenn der Erfurter Bischof eine weitere Verkleinerung künftiger Katholikentage fordert, so muss ich als zutiefst linker Katholik ihm doch leidenschaftlich widersprechen. Was Deutschland dringend braucht, sind nicht kleinere, sondern im Gegenteil, vielviel grössere Katholikentage.

Sollte Olaf Scholz auf dem nächsten Katholikentag wieder von den Chinesen die Einhaltung der Menschenrechte einfordern, dann wird nur eine viel grössere Teilnehmerzahl die 1,4 Milliarden Chinesen dazu bewegen können, moralische Ermahnungen vom deutschen Katholikentag zu beherzigen.

Wie aber steigern wir das Publikum des nächsten Katholikentags von miesen 27.000 auf, sagen wir, mindestens ein paar satte Millionen? Ganz einfach: Die alten weissen katholischen Männer sind gewiss begraben. Auch auf dem nächsten Katholikentag werden wir noch nicht auferstehen. Doch als zutiefst linker, wenn auch alter weisser Katholik sehe ich für uns einen immensen Ersatz: Deutschland ist voll von Millionen multikultureller junger Frauen, die nur darauf warten, zum nächsten Katholikentag aufzukreuzen. Mit einem begeisterten „Adsum!“ werden sie vor Bischof Bätzing stehen.

Was braucht es dafür? Nur ein winziges sprachliches Reförmlein. Lasst euch dieses Wort „Katholikentag“ in beiden linken Ohren zergehen. Wie klingt das? Es klingt wie das Gesabbel alter weisser Sabbelgreise. Dabei ist die Reform dieses unsäglich überholten Wortes denkbar leicht und einfach. Mein Antrag für die nächste Sitzung des Synodalen Wegs: 

Der Katholikentag ist schleunigst umzutaufen in Katholik*innentag. 

Vom christlichen Umgang mit dem Satan

Der heilige Thomas von Aquin nennt eine Reihe von Gründen, warum Gott das Böse in der Welt zulässt. Im Gedächtnis geblieben ist mir nur jenes Argument, das ich als das stärkste empfunden habe: Das Böse existiert, damit das Gute etwas hat, worüber es siegen kann.

So, nur so bekam einst im Anfang der Heilsgeschichte der Erzengel Michael mit seinen himmlischen Heerscharen Gelegenheit, den Satan mit seiner bösen Horde blasphemisch gefallener Engel zu besiegen und ihn hinabzustossen in die tiefste Hölle. So, nur  so kann in unseren Tagen der amerikanische Präsident Joe Biden als neuer Erzengel Michael mit seiner riesigen Heerschar verbündeter kleiner Engel – in vordersten Front die Engel Olaf und Annalena -   Gelegenheit bekommen, den satanischen „Kriegsverbrecher Putin“ (Biden)  zu besiegen und ihn hinabzustossen ins ewige Feuer.

Nicht einen Augenblick dürfen wir Christen zaudern, auf wessen Seite wir in diesem titanischen Kampf zwischen der Macht des Guten und der Macht des Bösen auch heute stehen. Mit unserem Erzengel Biden kämpfen wir kleinen Engel entschlossen den guten Kampf gegen das Böse.

Dennoch bleibt eine Frage.

Ist das Böse auch dazu da, um durch das Gute besiegt zu werden, so ist es doch Christen nicht unbedingt erlaubt, das Böse anders zu besiegen als auf christliche Art. Was aber ist die christliche Art im Umgang mit dem Bösen?

In der langen Geschichte unserer Religion kenne ich einen einzigen, der sich dazu überzeugende Gedanken gemacht hat. Das ist der kalvinistische Dichter John Milton, der „blinde englische Homer“. Auch bei ihm, in „Paradise Lost“, wird der Satan besiegt. Er ist ja dazu da, besiegt zu werden. Und doch schlägt Milton, wenn er über den Satan spricht, einen unverkennbar anderen Ton an als vor ihm Dante. Wie er bei Dante im alleruntersten Inferno hockt als unförmiger Moloch, dem aus drei grausigen Mäulern blutiger Geifer trieft, ist der Satan ein höllisches Urbild von Ekel und Hässlichkeit. John Milton hat Dantes Hölle sehr gut gekannt. Und doch  stellt er den Satan anders dar: als jemanden, der Respekt verdient für den unerhörten Mut, mit dem er aufsteht gegen die Übermacht des Guten, gegen „the Tyranny of Heav´n“. Und für seine unbeugsame Selbstachtung: „Better to reign in Hell, than serve in Heaven“. Über den bösesten aller Bösen Feinde spricht Milton mit Fairness, altdeutsch gesagt: Er übt sich im Umgang mit dem Satan in einer Sprache des religiösen Anstands.

Anders die deutschen Medien heute: Was sie über den Bösen Feind im Kreml schreiben und sagen, klingt von Woche zu Woche dantesker. Schon schreibt ein besonders qualifiziertes Qualitätsmedium ein „Nürnberg II“ herbei. Dass er, wenn er nachgibt, am Galgen in Nürnberg enden könnte, ob das den Bösen Feind im Kreml in die Knie zwingen wird?

Vielleicht würden wir unseren lieben ukrainischen Freunden mehr nützen,  wenn wir über  den bösesten aller bösen Russen mit ebensoviel Respekt sprechen und schreiben würden wie einst John Milton, der „blinde englische Homer“, über den Satan selbst.

Weihe der deutschen Kirche an Laurentius von Schnüffis

Mitten unter uns, in einer Kölner Siedlung, hat eine Prostituierte gelebt. Die ganze Nachbarschaft mochte diese Frau. Weil alle sagten: „Hier hat einmal jemand den richtigen Beruf.“ Dies nämlich war der nicht allzu häufige Fall einer Frau, die Männer ganz einfach, ohne wenn und aber, mochte. Nicht diesen oder jenen Mann, sondern das ganze männliche Geschlecht. Es genügte hinzuschauen, wie sie aufblühte, wenn sie vor ihrem Haus mit einem Mann redete. Und alle sagten: „Dat es en Männerfrau.“

 Es gibt im Französischen den komplementären Begriff. Das ist ein „homme à femmes.“ Es heisst wohl auch von einem blühenden Jüngling: „Er ist gemacht für le plaisir des dames.“ So einer war Laurentius von Schnüffis.

 Schnüffis ist ein Dorf in Vorarlberg. Dort hat Laurentius als Hirtenknabe auf den Bergweiden gesessen und auf seiner Hirtenpfeife gespielt. Vielleicht bin ich einer der letzten, die noch  einen europäischen Hirten beim Flötenspiel erlebt haben. Das war vor mehr als sechzig Jahren in den Bergen Serbiens.

 Nicht ohne meine Hirtenpfeife! So ist der Jüngling Laurentius hinabgestiegen zu

Tal. Einer englischen Komödiantengruppe hat er sich angeschlossen und ist mit ihr durch halb Europa gezogen. In Strassburg, in Leipzig, in Prag und in Wien, überall hat er mit seiner Hirtenflöte die jungen Frauen betört. Ob er irgendwo einmal hängenbleiben wird?

 Ja. Hängengeblieben ist er am barocken Hof von Erzherzog Ferdinand Karl in Innsbruck. Da waren zu viele schöne Frauen, die gern seiner Hirtenflöte lauschten. In drei Jahren wird er zum Casanova des Innsbrucker Hofs. Bis ihn ein besonders schönes, aber auch besonders arglistiges Weibsbild betrügt und in den Schuldturm bringt.

 Jetzt wird der Hirtenknabe aus Schnüffis krank. Barock krank. Todkrank ist er schon, als über seinem Siechenbett die Selige Jungfrau Maria erscheint. Herrlich mit Sternen bekränzt verheisst sie ihm irdische Genesung und himmlischen Pardon – jedoch unter einer „gnadenreichen Bedingungnuss“: „Verlasse die verführerische Dorilis und liebe Gott!“

 Aber Gott lieben? Gott ist so schrecklich männlich. An ihn glauben ja. Aber Gott lieben? Laurentius von Schnüffis hat die Frauen so geliebt, dass sein Herz auch im Himmel der Frau bedarf.

 Ave Maria!

 Der geheilte Casanova des Innsbrucker Hofs wird Kapuziner. 37 Jahre lang wandert er durch Oberdeutschland als leidenschaftlicher Prediger der Marienliebe. Von seinen Dichtungen zum Lob der Himmelskönigin ist Kaiserin Eleonora Magdalena so begeistert, dass Kaiser Ferdinand ihm die höchste literarische Auszeichnung verleiht: den Lorbeerkranz des Dichters.

 7. Januar 1702: Im Kapuzinerkloster zu Konstanz liegt Laurentius von Schnüffis im Sterben. Um ihn versammelt die Brüder alle. Doch da ist kein stilles Trauern und auch kein lautes Klagen. Zum Klang der Flöten und der Lauten singen die Kapuziner von Konstanz dem Sterbenden noch einmal alle seine wundersamen, seine  zärtlichen Marienlieder vor. Und als sie sein schönstes Lied anstimmen, regen sich die Lippen des Sterbenden:

     „…liebreich holdselige, himmlische Frau!“

Singend ist Laurentius von Schnüffis gestorben. Singend ist er heimgegangen zu ihr, die er noch mehr geliebt hat als alle andern Frauen. Zur „Mater pulchri amoris“, zur „Mutter der schönen Liebe“.

 Und ich denke an Papst Franziskus. „Amoris laetitia“ ist der lateinische Titel seiner Gedankengänge über Liebe und Sexualität. Daran stört mich eines: die offizielle Übersetzung durch die Deutsche Bischofskonferenz. Sie lautet scheinbar korrekt: „Die Freude der Liebe.“ Leider ist das kein Deutsch. Aus bestem Grund kennt unsere Sprache nur den Plural „die Freuden der Liebe“.

 Laurentius, du lustiger Hirtenknabe von Schnüffis, glückseliger Kapuziner von Konstanz! Führe du die gefallene, die verstörte, die himmeltraurige deutsche Kirche zurück zu den schönen Freuden der Liebe.

 

 

 

Laughing it away

Wieder kommt mir ein Pressebild aus Kabul vor die Augen. Es stammt vom Tag, an dem die Taliban die Stadt überrannt haben. Zu sehen ist das Schaufenster eines Schönheitssalons, davor ein älterer Herr, schon mit grauen Schläfen, wahrscheinlich der Besitzer des Ladens. Er ist damit beschäftigt, das grossflächige Bild einer schönen Frau, das sein Schaufenster bedeckt, mit einer Teleskoprolle von oben bis unten weiss zu übermalen. Sein Gesicht, soweit erkennbar, scheint ernst. Zweifelnd eher und nachdenklich wirkt das Gesicht eines jüngeren Gehilfen, der hinter ihm steht. Doch dann erst, bei genauem Hinsehen, fällt im Hintergrund eine dritte Person auf. Das ist ein kleiner Junge, der über das, was die beiden Erwachsenen da tun, ganz einfach lacht. Nicht nur übers Gesicht geht sein Grinsen, es prägt sein ganzes Körperspiel.

Schade, dass wir  im Deutschen kein Wort haben für boyhood. Und dass uns deshalb das männliche Erlebnis der Kindheit so wenig bewusst ist. Mir bleibt die Erinnerung, dass auch ich damals die Lust verspürt habe, dem Ernst des Lebens, dem Ernst der Erwachsenen, den Ernst zu verweigern. Dem kleinen Jungen in Kabul wünsche ich, dass ihm sein Lachen noch lange nicht vergehe.  Wie jenen Schwarzen in Amerika, die gerade dann lachten, wenn sie nichts zu lachen hatten. Und sie nannten es „laughing it away“.

Endet der Synodale Weg in Appenzell (Ausserrhoden und Innerrhoden)?

Hans Küngs Lippe war reines Hochdeutsch. Als ich ihn für den „Stern“ interviewte, war er nicht bereit, unter Schweizern auch nur ein einziges Wort Schweizerdeutsch zu sprechen. So machten das freilich manche Zürcher Professoren schon zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Das Volk sagte dann: „Är schpricht“.    

 So schprach er. Doch wenn er schrieb, schrieb Hans Küng das reine Gegenteil. Quer durch alle seine Werke, vor allem  in „Christ sein“, drängt sich der Eindruck auf, dass er die ganze katholische Kirche nach schweizerischen Denkmustern und Verhaltensgewohnheiten reformieren wollte. Die verbesserte katholische Kirche der Zukunft also als spirituelle Eidgenossenschaft.

 Was würde Hans Küng jetzt sagen?

 Was würde er, der Schweizer in Tübingen, sagen zu dem heillosen Streit um die Synodalen Wege und Irrwege der deutschen Katholiken? Nur von Häresie und Schisma ist noch die Rede. Die prominenteste Jung-Synodale, Katharina Geskes von der Landjugend Berlin, sagt wörtlich: „Das ist total frustrierend! Deshalb weiß ich auch nicht, wie lange ich es aushalten kann, Mitglied der katholischen Kirche zu sein.“ Nicht einmal die Gottesmutter Maria wird von von den Streithühnern noch geschont. So erbarmungslos hacken Maria 1.0 und Maria 2.0 aufeinander ein.

 Wer kann da noch helfen?

 Einer nur: Hans Küng. Im Umgang mit derart schlimmen, ja unheilbaren Fehden haben ja wir Eidgenossen jahrhundertelange Erfahrung. Was haben wir in solchen Fällen getan? Jedesmal, wenn ein Kanton unversöhnlich zerstritten war, haben wir ihn geteilt. Aber nicht in zwei Kantone, sondern, merket den Unterschied, in zwei Halbkantone. „Halbkanton“, das drückt klar die Scheidung aus, besagt aber ebenso klar, dass so etwas eigentlich nicht sein dürfte, und dass die beiden im Streit liegenden Hälften wieder zusammenfinden müssen. Basel-Stadt und Basel-Land, eines Tages werden sie wieder das ganze Basel sein müssen, genau so wie Nid- und Obwalden. Auch die beiden seit der Reformation getrennten  Halbkantone Appenzell-Innerrhoden und Appenzell-Ausserrhoden werden eines Tages wieder zu einem  ökumenischen Gesamtrhoden friedlich zusammenwachsen müssen.

 Im Sinne von Hans Küng sollten wir deshalb die una sancta germanica auf keinen Fall in zwei Kirchen teilen, wohl aber zum Zeichen, wie sehr die Scheidung uns alle schmerzt, in zwei Halbkirchen, allerdings nicht nach dem Vorbild von Appenzell-Innerrhoden und Appenzell-Ausserrhoden territorial getrennt. Das Prinzip „cujus regio, ejus religio“ ist doch heute gar nicht mehr durchsetzbar. Praktisch leicht zu verwirklichen wäre dagegen, nach dem vorbildlichen Präzedenzfall des Opus Dei, die Einrichtung von zwei deutschen Personalprälaturen. Jede mit einem Halberzbischof an der Spitze.

 Aber droht dann nicht neuer Streit um die Halbierung der Kirchensteuer? Hier, im Sinne von Hans Küng, ein Vorschlag zur Güte: Bis zur Wiedervereinigung der beiden Halbkirchen sollte das gesamte deutsche Kirchensteuer-Aufkommen von der Union Bank of Switzerland treuhänderisch verwaltet werden. Sie hat viel Erfahrung in der Verwaltung umstrittener deutscher Gelder.

 Und über allem Hans Küng. Man wende nicht ein, dass er, obwohl hoch verehrt, noch gar nicht heiliggesprochen ist. Als himmlischen Patron für den deutschen Katholizismus braucht es keinen ganzen Heiligen. Ein halber Heiliger wie Hans Küng genügt.

Nichts gegen Softporno

„Sex ist dummes Zeug für kleine Kinder“, hat Andy Warhole einmal gesagt. Unter diesem Gesichtspunkt fällt eine gewisse Infantilisierung des katholischen Klerus ins Auge. Nicht nur des Niederen Klerus, sondern auch der allerhöchsten Amtsträger.

Kaum haben wir die Nachricht verwunden, dass der emeritierte Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick - zur Tatzeit immerhin Amerikas höchster katholischer Würdenträger –, an schönen Sommertagen mit schönen Seminaristen  Beachboy  spielte, da kommt aus Spanien, besser gesagt: aus Katalonien, erneut eine ähnlich verstörende Nachricht: Bischof Xavier Novell Gomà von Solsona entsagt seinem hohen Amt, weil er sich verliebt hat. Keine Angst, es ist eine Frau.

Mit 41 geweiht, heute 52, galt Bischof Novell als Spaniens jüngster Bischof und hatte sich beliebt gemacht, weil er sich gegen den Zölibat ausgesprochen hatte. Anderseits hatte er sich doch auch unbeliebt gemacht, weil er entgegen allen Werten der Europäischen Union nichts von der Homo-Ehe halten wollte. Eine etwas ungefestigte Persönlichkeit also. Leicht möglich, dass so einer, im Leichtsinn der Jugend, althochdeutsch gesagt, „einem Weibe verfällt“.

Allerdings ist es in seinem Falle nicht irgendein Weib. Es handelt sich vielmehr um die 14 Jahre  jüngere Schriftstellerin Silvia Caballo. Die geschiedene Mutter zweier Kinder, heisst es in Barcelona, sei einem weiten spanischen Publikum wohlbekannt als Autorin verführerischer „Softporno-Romane“.  

Was dürfen wir uns unter „Softporno-Romanen“ vorstellen?   Vielleicht nichts Schlimmeres als jene „Liebesromane“, die meine kleine Schwester sich, longlong ago, am Bahnhofskiosk besorgte. Eines dieser schmuddeligen Hefte ist mir in besonderer Erinnerung, trug es doch den interessanten Titel „Die wilde Ursula“. Wenn das nicht, damals schon, Softporno war! Nachgetragen habe ich´s meiner kleinen Schwester nie. Soll ich es einem noch nicht ganz gefestigten spanischen Nachwuchs-Bischof nachtragen, dass  sich sein erotischer Gefühlshaushalt noch nicht über meine kleine Schwester hinaus entwickelt hat? Im Gegenteil: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …“

Je mehr sich die Softporno-Nachrichten aus dem hohen und höchsten Klerus mehren, desto wichtiger wird es, dass wir lernen, sie positiv aufzunehmen. Religion hat bekanntlich viel gemein mit dem Theater. Seit alters gibt es auf der Bühne den klassischen Unterschied zwischen Tragödie und Komödie. Xavier und Silvia, Bischof und Softporno-Autorin, dieser reale Liebesroman lässt manche frech grinsen. Mich dagegen lässt er demütig hoffen. Kehrt die katholische Kirche, die seit ein paar Jahren unnötig tragisch gestimmt schien, jetzt zurück in ihren ureigenen Modus: in die divina Commedia?

Warum hat mir nie eine Frau ein Liebesgedicht geschrieben?

 

 

So wie andere in einer Buchhandlung schmökern, so schmökere ich in meiner eigenen Bibliothek. Da sind so viele Bücher, die ich einmal gekauft, ungelesen auf ein Brett gestellt und dann vergessen habe. Heute bin ich auf eine Sammlung der hundert schönsten französischen Liebesgedichte gestossen: Schüchterne Liebesgedichte, leidenschaftliche Liebesgedichte, grausame Liebesgedichte, melancholische Liebesgedichte. Die Grossen der französischen Literatur, von François Villon über Molière bis zu Victor Hugo, alle haben sie Liebesgedichte geschrieben, so aber auch viele unbekannte, namenlose Verliebte. Ein Liebesgedicht schöner als das andere. So schön, dass es eine Weile gedauert hat, bis mir das Erschreckende auffiel: von hundert Liebesgedichten drücken nur drei die Liebe einer Frau zu einem Mann aus. 97 sind von Männern für Frauen geschrieben.

 

Dass wir in der deutschen Liebespoesie besser dran seien, hoffe ich, mag es aber nicht glauben. Von Goethes Friederike bis zu Heines Friederike sind es alles poetische Sehnsüchte männlicher Romantik um eine Frau. Gewiss feiert das schönste deutsche Liebesgedicht die Liebe einer Frau zu einem Mann. Das ist „Die Ballade von der Hanna Cash“. Doch wer hat diese weiblichen Gefühle empfunden und in Verse gefasst? Es ist ein Mann, und zwar ein inzwischen sehr alter weisser Mann: Bertolt Brecht. So machistisch ist er selber mit Frauen umgegangen, dass unsere cancel culture ihn jetzt von den Bühnen verbannen muss.

 

Es ist bei uns so erschreckend wie in Frankreich: Höchstens drei Prozent aller Liebesgedichte sind von einer Frau aus Liebe zu einem Mann verfasst. Woher das kommen mag? Das habe ich eine der besten Kennerinnen der französischen Poesie gefragt. Sie antwortete geniert: „Ein Bekenntnis der Liebe an einen Mann zu richten, das wäre doch lächerlich.“

 

Erasmus von Rotterdam hat es schon gewusst: Alle Liebe hat etwas mit dem Körper zu tun. Der männliche Körper ist aber anders als der weibliche. Gerade jenes Glied, in dem sich die männliche Liebeserregung ausdrückt, ist aber in seiner Erscheinung und vor allem in seiner Funktionsweise so komisch, dass man, schreibt Erasmus, „gar nicht drüber reden kann, ohne in Gelächter auszubrechen“. Kein Gegenstand jedenfalls für romantische Ergüsse.

 

Aber halt! Wissen wir nicht alle heute aus der Gendertheorie, was noch kein Erasmus wissen konnte: dass das Geschlecht eines Menschen kaum körperlich bestimmt ist, ungleich mehr aber sozio-kulturell. Da ist zumindest in der Liebesdichtung ein immenser sozio-kultureller Nachholbedarf an poetisch gefasster Liebe der Frau zum Mann. Gibt es nicht an deutschen Universitäten schon über hundert Professor*innen der Gender-Wissenschaft, in deutschen Behörden Tausende von Gleichstellungsbeauftragten? Sie alle sind aufgerufen, zur Förderung der Gleichstellung beider Geschlechter, ein Gedicht zu verfassen, das die innige Liebe einer Frau zu einem Mann ausdrückt, und dieses Gedicht ins Netz zu stellen unter dem Hashtag # Sah ein Ros ein Knäblein stehn.

 

Als Dante merda sagte. Eine poetische Ortsbestimmung des deutschen Katholizismus.

Von allen Dichtern der Christenheit ist er der grösste. Zur „Göttlichen Komödie“ erhoben hat die Nachwelt sein Meisterwerk. Auch wenn er selber, bescheiden genug, nur von seiner „Komödie“ sprach. Das nämlich ist die klassische Definition der Komödie: Schlecht fängt sie an, doch sie endet gut. In der finstersten Hölle fängt Dantes Komödie an, doch ihr wunderschönes Ende findet sie im Paradiso.

 Dort werden wir Katholiken dereinst uns alle wiederfinden: bei Dante und, wichtiger noch, bei Beatrice hoch im Himmel. Doch soweit ist es noch lange nicht. Erst müssen wir mit Dante hinab durch alle Schrecken des Inferno. Wo befinden wir uns da im Augenblick?

 Gewiss nicht erst in der Vorhölle. Dort sitzen Vergil und Plato und alle grossen Geister der heidnischen Antike bei tiefsinnigen griechischen und lateinischen Gesprächen. Mithalten können wir da nicht. Latein kann nicht einmal der Papst mehr, Griechisch sowieso nicht. Nichts bleibt uns, als hinter Dante her tiefer hinabzusteigen, immer tiefer von Höllenkreis zu Höllenkreis. „Von neuen Qualen“, seufzt Dante, „muss ich dichten.“ Die Qualen im achten Höllenkreis muss er uns, vor Ekel schaudernd, schildern:

 „Da sah ich Leute eingetaucht im Kote,

Der schien geschöpft aus menschlichen Aborten.“

 Selbst Dantes edle Feder ist sich nicht zu schade, für diesen Ort des Leidens das Wort „merda“ zu gebrauchen. Wer steckt da so tief in der Scheisse? Anders als bei andern Höllenkreisen zögert Dante mit einer präzisen Zuweisung. Vielleicht weil er hier nicht italienische Zustände seiner Zeit beschreibt, sondern eine Prophezeiung wagt. Prophezeiungen sind ja nie präzise. „La merda“, ist das vielleicht die Höllenscheisse, in der wir Katholiken des 21. Jahrhunders immer tiefer versinken? Von Zeit zu Zeit, schreibt Dante, tauche aus dem stinkenden Schlund ein Kopf auf, der aber so von Kot triefe, dass man nicht einmal sehen könne, ob´s ein Priesterkopf sei oder der Kopf eines Laien. Ist es  ein Kopf  der Deutschen Bischofskonferenz oder ist es ein Kopf aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken? Seien wir nicht präziser als Dante. Jeder von uns könnte das sein. Nicht etwa nur Kardinäle wie Woelki oder Marx, wir Katholiken alle stecken abgrundtief in dem, was Dante ohne falsche Scham „la merda“ nennt.

 Dass ich mich edler ausdrücken müsse als Dante, lasse ich mir von keinem sagen: dass ich gar jenes seelsorglich verlogene  Beschwichtigungsdeutsch sprechen müsse, das zur Zeit von allen Kanzeln herabtrieft: Krise heisse immer auch Chance, Umkehr, Hoffnung etceteraetcetera. Das ist windige Gesundbeterei.

 Umso mehr als es nicht andere sind, die uns da hineingestossen haben. Die Scheisse, in dem wir stecken, haben wir selber produziert. Nicht nur Latein und Griechisch haben wir ja verlernt, sondern auch das kölnische Deutsch, immerhin die Sprache Meister Eckhardts. „Scheissen“, sagten die Alten Kölner, „deit wieh“. Weil wir das nicht mehr glauben mochten, tut es uns jetzt umso weher, im eigenen Kot sitzen zu müssen.

 Ob es jemals gelingen wird, uns am eigenen Schopf aus diesem Höllenpfuhl zu ziehen? Vielleicht ist das nicht einmal wünschenswert. Es ist ja eine Illusion zu glauben,  aus dem achten Höllenkreis gehe es gleich ins Purgatorio, in jenes Fegefeuer, das Dante in so wundersanften Pastellfarben malt, als wär´s ein amerikanisches Luxushotel.

 Vorher nämlich müssen wir hinter Dante her noch weiter hinab bis in den zehnten Höllenkreis. Dort hockt der Satan selber. Drei Mäuler hat der mörderische Moloch. Mit blutigem Geifer zermalmen sie die drei schlimmsten Verräter der Menschheit: Brutus, Cassius und Judas. So ist das noch bei Dante. Aber vielleicht hat der Teufel inzwischen Appetit auf mehr. Das Schlimmste stünde zu befürchten, wenn nächstens  der ganze deutsche Katholizismus, unterwegs zum Fegefeuer, versuchen sollte, unten im  zehnten Höllenkreis am Teufel unerkannt vorbei ins Purgatorio zu schleichen.  

Theologie des Automobils

Warum ich immer noch Auto fahre, fragen kopfschüttelnd meine alten Freunde. Wo doch Qualitäts-Politiker*innen und Qualitäts-Wissenschaftler*innen nachdrücklich raten, umzusteigen auf Busse und Bahnen, mindestens aber aufs Velo. Alle Achtung vor Qualitäts-Politiker*innen und Qualitäts-Wissenschaftler*innen. Alle Liebe auch zu meinem eigenen alten echten Gary-Fisher-Bike. Trotzdem verlasse ich mich lieber auf meine theologische Bildung. Und die sagt mir klar: Wer Auto fährt, lebt gesünder. Wer Auto fährt, wird älter, so steinalt wie ich inzwischen bin  -   viel älter als jene meiner Freunde, die sich aus lauter fatalem Qualitäts-Aberglauben in die öffentlichen Verkehrsmittel pferchen liessen.

Der theologische Beweis? In jener Zeit, als der Orient noch christlich war, im 4. Jahrhundert, gab es dort zwei besonders fromme Lebensweisen: einerseits die Mönche, die sich, religiös korrekt, in Klöstern drängten wie heute die politisch Korrekten in Bussen und in Bahnen, anderseits die Einsiedler, die, weit draussen in der Wüste, jeder unter seiner eigenen Palme, die Freiheit genossen, unbehelligt von Qualitäts-Politiker*innen und von Qualitäts-Wissenschaftler*innen für sich allein einsam und gesund zu sein. Das Erstaunliche nämlich ist, dass die Einsiedler, den Strapazen der Wüste zum Trotz, im Schnitt mindestens zwanzig Jahre älter wurden als die Mönche. Das klassische Beispiel sind die beiden Gründer: der Ur-Einsiedler Antonius und der Ur-Mönch Pachomius.

105 Jahre alt ist der Ureinsiedler Antonius in seiner Höhle am Berg Galala geworden. In fabelhafter Gesundheit. Alle Zähne, schreibt Athanasius von Alexandrien, habe Antonius noch mit 105 gehabt. Seinen Füssen allerdings, fährt Athanasius naserümpfend fort, habe man angesehen, dass er sie 105 Jahre lang nicht gewaschen habe. 

Dagegen der heilige Pachomius in seinem mit 1.300 Mönchen vollgedrängten Kloster bei Tabennisi? Er hielt dort, wie die zeitgenössischen Chroniken berichten, auf strengste Hygiene. Jeden Sonntag befahl er allen 1.300 Mönchen den Waschmarsch zum Ufer des Nils. Dennoch ist Pachomius, obwohl nach Antonius geboren, lange vor ihm gestorben. Nur 54 Jahre alt wurde der Ur-Mönch. Die meisten seiner Mitbrüder starben noch jünger. Woran denn?

Von Pachomius heisst es, er sei an der Pest gestorben. Es kann auch eine andere Seuche gewesen sein. Jedenfalls war eine Epidemie schlimmer als die andere. Und sobald einer im Kloster sie hatte, hatten sie alle andern auch. Genauso wie heute die hilflos zusammengepferchten Insass*innen öffentlicher Verkehrsmittel.  

Wieviel besser geht es mir in der Einsamkeit meines Automobils! Wann habe ich eigentlich den letzten Schnupfen gehabt? Wann werde ich je die neueste Mutante des neuesten Virus bekommen? Mein Auto ist ja meine rollende Einsiedelei. In meinem Automobil lebe ich heute so gesund wie einst der heilige Antonius in seiner Einsiedelei weit draussen in der Wüste bei Pispir.

Doch jetzt, der schönen Sommerzeit zum Trotz,  schleunigst alle Scheiben hochgekurbelt. Denn da kommt schon wieder so ein todessüchtiges Rudel von Velofahrer*innen und will mich, unmaskiert, Viren nach allen Seiten sprühend, überholen. Und wissen nicht, dass man das Velo, und sei es ein echtes altes Gary-Fisher-Bike, nicht mitbringen darf auf die Intensivstation.

Und wenn einer auf die faschistoide Idee käme, mir den Einsiedler-Führerschein vor dem 105. Lebensjahr abzunehmen? Dann wäre ich in meiner grundgesetzlich geschützten Würde als Einsiedler zutiefst verletzt. Mit 105 Jahren wäre ich erst recht beleidigt. Von dem antifaschistischen Shitstorm, den ich dann lostreten würde, habt ihr alle, in euren Bussen und Bahnen, auf euren Velos, maskiert oder unmaskiert, noch gar keine Ahnung!

Avete! Morituros moriturasque vos saluto!