Als Dante merda sagte. Eine poetische Ortsbestimmung des deutschen Katholizismus.

Von allen Dichtern der Christenheit ist er der grösste. Zur „Göttlichen Komödie“ erhoben hat die Nachwelt sein Meisterwerk. Auch wenn er selber, bescheiden genug, nur von seiner „Komödie“ sprach. Das nämlich ist die klassische Definition der Komödie: Schlecht fängt sie an, doch sie endet gut. In der finstersten Hölle fängt Dantes Komödie an, doch ihr wunderschönes Ende findet sie im Paradiso.

 Dort werden wir Katholiken dereinst uns alle wiederfinden: bei Dante und, wichtiger noch, bei Beatrice hoch im Himmel. Doch soweit ist es noch lange nicht. Erst müssen wir mit Dante hinab durch alle Schrecken des Inferno. Wo befinden wir uns da im Augenblick?

 Gewiss nicht erst in der Vorhölle. Dort sitzen Vergil und Plato und alle grossen Geister der heidnischen Antike bei tiefsinnigen griechischen und lateinischen Gesprächen. Mithalten können wir da nicht. Latein kann nicht einmal der Papst mehr, Griechisch sowieso nicht. Nichts bleibt uns, als hinter Dante her tiefer hinabzusteigen, immer tiefer von Höllenkreis zu Höllenkreis. „Von neuen Qualen“, seufzt Dante, „muss ich dichten.“ Die Qualen im achten Höllenkreis muss er uns, vor Ekel schaudernd, schildern:

 „Da sah ich Leute eingetaucht im Kote,

Der schien geschöpft aus menschlichen Aborten.“

 Selbst Dantes edle Feder ist sich nicht zu schade, für diesen Ort des Leidens das Wort „merda“ zu gebrauchen. Wer steckt da so tief in der Scheisse? Anders als bei andern Höllenkreisen zögert Dante mit einer präzisen Zuweisung. Vielleicht weil er hier nicht italienische Zustände seiner Zeit beschreibt, sondern eine Prophezeiung wagt. Prophezeiungen sind ja nie präzise. „La merda“, ist das vielleicht die Höllenscheisse, in der wir Katholiken des 21. Jahrhunders immer tiefer versinken? Von Zeit zu Zeit, schreibt Dante, tauche aus dem stinkenden Schlund ein Kopf auf, der aber so von Kot triefe, dass man nicht einmal sehen könne, ob´s ein Priesterkopf sei oder der Kopf eines Laien. Ist es  ein Kopf  der Deutschen Bischofskonferenz oder ist es ein Kopf aus dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken? Seien wir nicht präziser als Dante. Jeder von uns könnte das sein. Nicht etwa nur Kardinäle wie Woelki oder Marx, wir Katholiken alle stecken abgrundtief in dem, was Dante ohne falsche Scham „la merda“ nennt.

 Dass ich mich edler ausdrücken müsse als Dante, lasse ich mir von keinem sagen: dass ich gar jenes seelsorglich verlogene  Beschwichtigungsdeutsch sprechen müsse, das zur Zeit von allen Kanzeln herabtrieft: Krise heisse immer auch Chance, Umkehr, Hoffnung etceteraetcetera. Das ist windige Gesundbeterei.

 Umso mehr als es nicht andere sind, die uns da hineingestossen haben. Die Scheisse, in dem wir stecken, haben wir selber produziert. Nicht nur Latein und Griechisch haben wir ja verlernt, sondern auch das kölnische Deutsch, immerhin die Sprache Meister Eckhardts. „Scheissen“, sagten die Alten Kölner, „deit wieh“. Weil wir das nicht mehr glauben mochten, tut es uns jetzt umso weher, im eigenen Kot sitzen zu müssen.

 Ob es jemals gelingen wird, uns am eigenen Schopf aus diesem Höllenpfuhl zu ziehen? Vielleicht ist das nicht einmal wünschenswert. Es ist ja eine Illusion zu glauben,  aus dem achten Höllenkreis gehe es gleich ins Purgatorio, in jenes Fegefeuer, das Dante in so wundersanften Pastellfarben malt, als wär´s ein amerikanisches Luxushotel.

 Vorher nämlich müssen wir hinter Dante her noch weiter hinab bis in den zehnten Höllenkreis. Dort hockt der Satan selber. Drei Mäuler hat der mörderische Moloch. Mit blutigem Geifer zermalmen sie die drei schlimmsten Verräter der Menschheit: Brutus, Cassius und Judas. So ist das noch bei Dante. Aber vielleicht hat der Teufel inzwischen Appetit auf mehr. Das Schlimmste stünde zu befürchten, wenn nächstens  der ganze deutsche Katholizismus, unterwegs zum Fegefeuer, versuchen sollte, unten im  zehnten Höllenkreis am Teufel unerkannt vorbei ins Purgatorio zu schleichen.