Christ*innen gegen die Weihnachtshysterie

Als ich jung war und somit viele Freunde hatte, war ich sogar befreundet mit einem evangelischen Theologen in Hannover. Befremdet hat mich an ihm nur eines: Zur klassischen Urlaubszeit, im hohen Sommer, wenn es uns alle an den Strand zog oder ins Hochgebirge, blieb er unverdrossen an seinem protestantischen Schreibtisch in Hannover sitzen. Dann aber, wenn wir andern alles abarbeiteten, was übers Jahr liegengeblieben war, im Dezember, nahm er als einziger von uns Urlaub. Ich hielt das zuerst für eine Marotte. Als er dann aber, Jahr für Jahr, immer wieder seinen Urlaub im Dezember nahm, konnte ich mir die Frage nicht mehr verkneifen. „Dezember“, gab er zur Antwort, „ist ein Monat wie kein anderer. Die Blätter sind schon alle gefallen. Aber Schnee fällt noch nicht. Igel, Bär und Murmeltier liegen im verdienten Winterschlaf. Die Schwalben sind abgeflogen in den Tschad. Die ganze Natur, die Schöpfung ruht. Und wenn die Schöpfung ruht, dann ruhe ich als Christ mit ihr.“ Danach ein Geständnis: Selbst den Altardienst überlasse er an Weihnachten weniger naturverbundenen Kolleg*innen. „Vom 1. Dezember bis Silvester tue ich ganz einfach nichts.“

Das war vor einem halben Jahrhundert, als noch niemand das Wörtlein „öko“ kannte. Und jetzt? Dezember hat noch kaum begonnen, da fängt sie schon an, die neudeutsche Weihnachtshysterie. In allen Werkstätten der verzweifelte Versuch, all die fehlenden Ersatzteile vor dem Fest noch aufzutreiben. In allen Büros der sinnlose Versuch, doch noch alles zu erledigen, was seit Januar vertrödelt worden war. Nicht nur auf auf Autobahnen, sondern jetzt auch in den Innenstädten lebensgefährliche Drängelei und Schlängelei. Selbst die Hausfrauen, sonst so besonnen, wollen unbedingt bei Ebay und Amazon noch alles  bestellen, was sie sinnvollerweise das ganze Jahr über nicht bestellt haben. Schlimmer: das alles muss noch vor Weihnachten gefahren und geliefert werden. Ein ganzes Volk, das die christliche Weihnachtshoffnung  – „O du Fröhliche“ - verloren hat, verfällt jetzt zum Fest einer freudlosen neuheidnischen Endzeit-Hysterie.

Und wir Christ*innen? Die evangelische Kirche, sie allein, tut etwas dagegen. Mit der Drosselung ihrer Dienstfahrzeuge auf 100 km/h hält sie den hysterisch entfesselten Verkehr auf den Autobahnen mutig auf. Mit 80km/h blockiert sie die Landstrassen.  Dem mit Klebstoff bewaffneten Arm der evangelischen Kirche gelingt es sogar, ganze Flughäfen ruhigzustellen. Ein paar Stunden jedenfalls.

Aber reicht das? Ich denke an die prophetische Tat meines protestantischen Jugendfreundes in Hannover. Öko war das vor der Zeit. Den ganzen Dezember über nichts tun! Dabei hätte die evangelische Kirche doch die Möglichkeit, alle ihre 240.000 Mitarbeiter*innen im Dezember in den Zwangsurlaub zu schicken.   Viel sinnloser religiöser Betrieb  fände so nicht statt. Ganz viel Energie – spirituelle und fossile Energie - würde so gespart. Um unserem russischen Feind zuleide noch mehr Energie zu sparen, wäre es leicht  möglich, auch die besonders energieintensiven evangelischen Weihnachtsgottesdienste jetzt schon zu stornieren.

Nur wenigen würde etwas fehlen.