Weihe der deutschen Kirche an Laurentius von Schnüffis

Mitten unter uns, in einer Kölner Siedlung, hat eine Prostituierte gelebt. Die ganze Nachbarschaft mochte diese Frau. Weil alle sagten: „Hier hat einmal jemand den richtigen Beruf.“ Dies nämlich war der nicht allzu häufige Fall einer Frau, die Männer ganz einfach, ohne wenn und aber, mochte. Nicht diesen oder jenen Mann, sondern das ganze männliche Geschlecht. Es genügte hinzuschauen, wie sie aufblühte, wenn sie vor ihrem Haus mit einem Mann redete. Und alle sagten: „Dat es en Männerfrau.“

 Es gibt im Französischen den komplementären Begriff. Das ist ein „homme à femmes.“ Es heisst wohl auch von einem blühenden Jüngling: „Er ist gemacht für le plaisir des dames.“ So einer war Laurentius von Schnüffis.

 Schnüffis ist ein Dorf in Vorarlberg. Dort hat Laurentius als Hirtenknabe auf den Bergweiden gesessen und auf seiner Hirtenpfeife gespielt. Vielleicht bin ich einer der letzten, die noch  einen europäischen Hirten beim Flötenspiel erlebt haben. Das war vor mehr als sechzig Jahren in den Bergen Serbiens.

 Nicht ohne meine Hirtenpfeife! So ist der Jüngling Laurentius hinabgestiegen zu

Tal. Einer englischen Komödiantengruppe hat er sich angeschlossen und ist mit ihr durch halb Europa gezogen. In Strassburg, in Leipzig, in Prag und in Wien, überall hat er mit seiner Hirtenflöte die jungen Frauen betört. Ob er irgendwo einmal hängenbleiben wird?

 Ja. Hängengeblieben ist er am barocken Hof von Erzherzog Ferdinand Karl in Innsbruck. Da waren zu viele schöne Frauen, die gern seiner Hirtenflöte lauschten. In drei Jahren wird er zum Casanova des Innsbrucker Hofs. Bis ihn ein besonders schönes, aber auch besonders arglistiges Weibsbild betrügt und in den Schuldturm bringt.

 Jetzt wird der Hirtenknabe aus Schnüffis krank. Barock krank. Todkrank ist er schon, als über seinem Siechenbett die Selige Jungfrau Maria erscheint. Herrlich mit Sternen bekränzt verheisst sie ihm irdische Genesung und himmlischen Pardon – jedoch unter einer „gnadenreichen Bedingungnuss“: „Verlasse die verführerische Dorilis und liebe Gott!“

 Aber Gott lieben? Gott ist so schrecklich männlich. An ihn glauben ja. Aber Gott lieben? Laurentius von Schnüffis hat die Frauen so geliebt, dass sein Herz auch im Himmel der Frau bedarf.

 Ave Maria!

 Der geheilte Casanova des Innsbrucker Hofs wird Kapuziner. 37 Jahre lang wandert er durch Oberdeutschland als leidenschaftlicher Prediger der Marienliebe. Von seinen Dichtungen zum Lob der Himmelskönigin ist Kaiserin Eleonora Magdalena so begeistert, dass Kaiser Ferdinand ihm die höchste literarische Auszeichnung verleiht: den Lorbeerkranz des Dichters.

 7. Januar 1702: Im Kapuzinerkloster zu Konstanz liegt Laurentius von Schnüffis im Sterben. Um ihn versammelt die Brüder alle. Doch da ist kein stilles Trauern und auch kein lautes Klagen. Zum Klang der Flöten und der Lauten singen die Kapuziner von Konstanz dem Sterbenden noch einmal alle seine wundersamen, seine  zärtlichen Marienlieder vor. Und als sie sein schönstes Lied anstimmen, regen sich die Lippen des Sterbenden:

     „…liebreich holdselige, himmlische Frau!“

Singend ist Laurentius von Schnüffis gestorben. Singend ist er heimgegangen zu ihr, die er noch mehr geliebt hat als alle andern Frauen. Zur „Mater pulchri amoris“, zur „Mutter der schönen Liebe“.

 Und ich denke an Papst Franziskus. „Amoris laetitia“ ist der lateinische Titel seiner Gedankengänge über Liebe und Sexualität. Daran stört mich eines: die offizielle Übersetzung durch die Deutsche Bischofskonferenz. Sie lautet scheinbar korrekt: „Die Freude der Liebe.“ Leider ist das kein Deutsch. Aus bestem Grund kennt unsere Sprache nur den Plural „die Freuden der Liebe“.

 Laurentius, du lustiger Hirtenknabe von Schnüffis, glückseliger Kapuziner von Konstanz! Führe du die gefallene, die verstörte, die himmeltraurige deutsche Kirche zurück zu den schönen Freuden der Liebe.