Zölibat und Klimakatastrophe.

Dass der Zölibat an vielem schuld ist, wissen wir alle. Trotzdem hat niemand bisher behauptet, dass der Zölibat auch schuld sei an der Klimakatastrophe. Vielleicht ist das sogar das einzige, woran er sicher nicht schuld ist. Dass dennoch ein vielleicht untergründiger Zusammenhang zwischen Klimakatastrophe und Zölibat sei, ahnen manche. Warum ist dieses Thema trotzdem auf keiner Sitzung des Synodalen Wegs zur Sprache gekommen?

Ich will euch sagen, woran das liegt. Nämlich am Niedergang der katholischen Bildung. Zu den Selbstverständlichkeiten katholischer Bildung gehörte es zu meiner Zeit (Jahrgang 1937), Amélineau zu lesen. Emile Amélineau, den grossen französischen Ägyptologen. Ihm ist als erstem aufgefallen, dass die Keuschheit im Urchristentum noch keine besondere Rolle gespielt hat. Zur höchsten  (und schwierigsten) aller Tugenden ist sie erst geworden, als sich das Christentum nach Ägypten verlagerte. Dort erst konnte es geschehen, dass ein so genialer christlicher Theologe wie Origenes kaum noch etwas anderes im Kopf hatte als die Keuschheit. Als er dennoch einer seiner sieben Sekretärinnen („Schönschreiberinnen“) verfiel, wusste er sich nur noch damit zu helfen, dass er zum Messer griff. Und er hieb sich jenes Glied, mit dem er gesündigt hatte, ab.

Das Besondere nun an Ägypten, fand Amélineau heraus, sei das doch schon ausgeprägt afrikanische Klima. Ihm persönlich, so gibt er freimütig zu, sei die Keuschheit  in Ägypten schwergefallen. Und je weiter südwärts er bei seinen Forschungen dem Nil entlang gereist sei, desto schwerer. Von einer bestimmten Hitze an sei Keuschheit fast unmöglich. Das heisst aber nicht, dass sie in Ägypten aus der christlichen Moral verschwunden sei. Im Gegenteil. Je weniger der normale ägyptische Christ zur Keuschheit fähig gewesen sei, desto grösser das Ansehen jener wenigen, die als Wüstenväter draussen in der sengenden Einsamkeit Keuschheit nicht nur gelobten, sondern auch tatsächlich lebten. So wurden die Kämpfe des heiligen Antonius gegen die Dämonen der Unkeuschheit bis ins Mittelalter zur berühmtesten christlichen Heiligengeschichte. So stieg im christlichen Ägypten, erst dort, die sexuelle Entsagung auf zu einer mit dem Martyrium vergleichbaren Heldentat, von allen, die dazu so wenig fähig waren wie zum Martyrium, begeistert bestaunt und gefeiert.

Da fällt denn auf, dass heute die Verachtung der Keuschheit und die Forderung nach Abschaffung des Zölibats aus lauter klimatisch unterkühlten Zonen kommt. Aus Ländern, in denen auch der ganz gewöhnliche Alltag  so rationalisiert und unterkühlt verläuft, dass etwas derart Irrationales wie die sexuelle Aktivität bis auf geringe, auffällig marginale Reste geschwunden ist. Nicht also weil ihn der sexuelle Drang besonders drängt, verehrt der normale Mensch bei uns den  Zölibat nicht mehr. Das Gegenteil ist der Fall. Weil er selber so wenig sexuell aktiv ist, erkennt er im Zölibat nicht mehr die titanische Spitzenleistung, als die er einst in der heissen Wüste Ägyptens galt.

Theologisch sind wir jetzt mitten drin in der Klimakatastrophe. Es könnte ja sein, dass die katastrophalen Temperaturen dieses Sommers nur Vorboten sind für eine Erhitzung, die uns allen dauerhaft Lebensumstände wie im Alten Ägypten bescheren wird. Vielleicht sollten wir uns auf unseren Synodalen Wegen Gedanken darüber machen, ob nicht morgen schon mit dem klimakatastrophenbedingten Wiederaufleben der allgemeinen sexuellen Aktivität auch die Bewunderung der Keuschheit als heroischer Leistung einer winzigen Elite bei uns erneut ägyptische Ausmasse annehmen könnte. Wie denn geschrieben steht im  Evangelium nach Matthäus 22, 14: „Viele sind berufen, wenige aber auserwählt.“